Über Multimediale Strategien als Bedingung von Selbstreferenz und Repräsentation


Alles Beobachten ist das Einsetzen einer Unterscheidung
in einen unmarkierten Raum, aus dem heraus der Beobachter
das Unterscheiden vollzieht.

Niklas Luhmann





o.T., 2007, Stickbild-Video-Installation; Stickbild: Faden/Nessel,
ca. 90x75 cm, Video-Loop mit Ton: DVD, 10 Min., Detail mit Stills

Die Künstlerin Silvia Marzall hinterfragt in ihren aktuellen künstlerischen Arbeiten Kontextualisierungen so differenzierter Medien wie Stickerei, Video oder Fotosiebdruck, die sie installativ anordnet. Leitend ist hierbei die Frage, auf welche Weise sich strukturelle Analogien herausbilden lassen oder nicht. Welchen Bezug nimmt der Begriff der Zeitlichkeit in den jeweiligen Medien ein?

In einer Stickbild-Video-Installation aus dem Jahr 2007 zeigt ein Stickbild auf Nessel eine Flächen übergreifende Linien- und Kreisstruktur in Rot. Fast zentral sind in diese Struktur stickende türkise Hände hineingestickt. Ein Monitor zeigt ein Video im Loop: Im Vordergrund sind Hände einer Frau in einem dunkelroten Pullover zu sehen, welche dieselben geometrischen Strukturen in Nessel sticken, während ein verzerrtes, penetrantes Raumgeräusch wahrzunehmen ist. Das Video zeigt den Prozess des Stickens verlangsamt, fast zum Standbild erstarrt – zu erwartende Wahrnehmungen werden konterkariert.

Sticken zählt seit dem 17. Jahrhundert zu den so genannten ,weiblichen Künsten‘ bzw. zum ,künstlerischen Dilettantismus‘. Fleiß, Geduld und manuelle Geschicklichkeit – diese Merkmale werden oft als weibliche Tugenden beschrieben, die speziell in der Stickkunst ihren Wiederhall fanden. Frauen konnten dieser Tätigkeit sowohl erwerbsmäßig als auch in Mußestunden nachgehen. Der Begriff der Mußestunde, des Zeitvertreibs, setzte im absolutistischen Zeitalter jedoch einen gehobenen gesellschaftlichen Stand voraus, der materiell unabhängig war.

Silvia Marzall gelingt es heute, mit ihren Installationen die Grenzen der Medien Stickerei und Video durch ihre Kontextualisierung neu zu hinterfragen. Das Stickbild zeichnet sich durch gestickte Konturlinien und angedeuteten Binnenschraffuren aus. Die Reduktion künstlerischer Mittel im Stickbild auf ein Minimum ist mit einer Umrisszeichnung zu vergleichen. Doch im Gegensatz zur Zeichnung weist das Stickbild reliefartige Strukturen auf – eine Stickzeichnung.

Die Technik des Stickens ist sehr zeitintensiv. Nur langsam entsteht Stich für Stich das Bild. Die stickenden Hände ihrerseits in dem Stickbild rufen den Prozess des Stickens beim Betrachter wieder in Erinnerung. Im Video dagegen tauchen die Hände der Künstlerin ,real‘ auf, es dient Silvia Marzall zur Dokumentation von Zeit und Bewegung. Sie nutzt die spezifischen technischen Optionen dieses Mediums, wie Wiederholung (Loop), Aneinanderreihung und Umkehrung (Schnitt) sowie Geschwindigkeitsverzerrung, zur Erzeugung ganz eigener ästhetischer Erfahrungen.

Das Stickbild im Video und die Videoszene als Stickbild treten in einen multimedialen Diskurs ein – nebeneinander, nacheinander, gleichzeitig oder: gleichzeitig im Ungleichzeitigen. Die Künstlerin wird zu einem Beobachter zweiter Ordnung im Sinne der Systemtheorie Niklas Luhmanns: Sie beobachtet sich selbst beim Beobachten. Die Welt kann nicht von außen beobachtet werden, sie ist immer Bedingung eigener Wahrnehmung von Welt.

Die Kunst Silvia Marzalls öffnet eine Tür, deren Existenz man vorher nicht ahnte. So spiegelt sich der Luhmannsche Differenzbegriff in ihrem multimedialen Ansatz wider: Die Unterscheidung, das Dazwischen, dient ihr dazu, etwas im Unterschied zu anderem zu bezeichnen. Die Medien Stickbild, Video und Klang erzeugen eine Differenz, die es ermöglicht, Beziehungen zu hinterfragen oder neu zu entdecken. Fragen nach Repräsentation von Welt werden in einen neuen Fokus gerückt. So zeichnet sich die Kunst Silvia Marzalls letztendlich durch ein Reflektieren über Bedingungen künstlerischer Mittel selbst aus.

©Antje Buchwald
Dornbachstr. 11c
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antje.buchwald@kunsthistoriker.org